Ein Erfahrungsbericht
Der Begriff Empty Nest Syndrom beschreibt die Gefühlslage von Einsamkeit und Trauer, die Eltern nach dem Weggang der Kinder erfasst. Als ich diesen Text im Oktober 2019 schrieb, waren es gerade zwei Jahre, dass meine Tochter mein Haus verlassen hat.
Und als wäre das nicht genug, gibt es schon ein nächstes Update zu machen: Meine Tochter hat nämlich nicht nur mein Haus, sondern im September 2021 auch „meine“ Stadt verlassen! Aber alles der Reihe nach:
„Meine Tochter, mein Haus, meine Stadt!“
Ja, ich höre schon die Kommentare, die mir die verwendeten Possessivpronome ankreiden. Aber damit kann ich leben. 😉
Der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus ist für viele Menschen in der Lebensmitte ein wichtiges Thema. Ob im Bekanntenkreis oder in den Medien, ob Michelle Obama oder meine beste Freundin, das Empty Nest Syndrom beschäftigt viele von uns. Den einen fällt die Umstellung auf die neue Situation leicht, den anderen bereitet sie große Kopf- und Herzschmerzen.
Ich persönlich hatte richtig große Angst vor dem Auszug meines Kindes. Nach 20 Jahren Lebensgemeinschaft eigentlich auch kein Wunder. Letztendlich war alles leichter als gedacht, ich bin nicht in ein Loch gefallen, die entstandene Leere empfinde ich auch als Freiheit, das ohnehin sehr gute Verhältnis zu meiner Tochter hat sich (noch weiter) verbessert. Das ist einer der vielen Gründe, warum ich diese Erfolgsstory mit euch teilen möchte. Ich habe eine 10 Punkte Liste erarbeitet, in der vielleicht die eine oder andere gute Anregung steckt…
Was mir beim Empy Nest Syndrom geholfen hat:
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Gute Vorbereitung ist viel wert
Gemeinsam mit dem Kind habe ich soviel es ging im Voraus geplant. Wir haben ein konkretes Datum vereinbart und ein Step by Step Prozedere fanden wir hilfreich. Wann wird das letzte Mal zu Hause übernachtet. Wann wird was geholt, was bleibt da, was wird entsorgt oder verschenkt. Ich war am Anfang versucht, zu allem Ja und Amen zu sagen. Das hat sich aber schnell geändert, weil meine Lagermöglichkeiten für überflüssig gewordenen Kram recht beschränkt sind.
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Sich keinen Druck machen, sondern sich Zeit lassen
Ich habe vieles zu dem Thema „Empty Nest Syndrom“ gehört und gelesen. Die Bandbreite reichte von „Hast du kein eigenes Leben?“ über „Das wird schon gutgehen, das ist ja ganz normal!“ bis hin zu „So schön wird’s nie mehr!“ Ich habe getrauert, ich habe geweint, ich habe mir Zeit gelassen und sehr auf mich selbst gehört. Aufschreiben hilft immer!
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Sich nicht dagegen wehren
Natürlich hatte ich auch den Gedanken, die Zeit anhalten zu wollen. Wie schön wäre es, noch ein bisschen mehr an der gemeinsamen Zeit festzuhalten! Die Kindheit des Kindes ein bisschen prolongieren. Meine Mutterschaft noch ein bisschen genießen. Wie schön wäre es, gebe es ein Rezept gegen das Verlassen werden! Hier hat mir der radikale Perspektivenwechsel geholfen. Loslassen, loslassen wurde zu meinem Mantra in dieser Zeit. Verbunden mit der Gewissheit, dass Veränderung auch immer etwas Positives und Platz für Neues schafft. Lasse es zu und alles wird leichter.
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Darüber reden, aber nicht mit dem Kind
Mir hat geholfen, darüber zu reden. Sowohl meinen Partner als auch meinen Freundeskreis dürfte ich mit dem Thema ziemlich strapaziert haben. Ich habe viel Verständnis, Trost und Unterstützung bekommen. Und auch viele interessante Inputs! Dafür bin ich sehr dankbar! Mit dem Reden habe ich Klarheit gewonnen und Sicherheit und irgendwann, als die Wiederholungen sogar mir selbst bisschen langweilig wurden, ist das Thema aus den Gesprächen sang- und klanglos verschwunden.
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Nicht übertreiben
Ein leeres Zimmer wird leicht mal hochgejazzt zu einer leeren Wohnung, einem leeren Haus, einem leeren Leben. Weder ist das richtig, noch sinnvoll und schon gar nicht hilfreich. Ich habe mich ermuntert, sachlich zu bleiben oder zumindest bei der Wahrheit. Die Dinge nicht beschönigen, aber eben auch nicht unnötig übertreiben. Verzeih dir dennoch jeden emotionalen Auszucker, sei großzügig zu dir selbst und liebevoll. Gönn dir auch Mal was Schönes!
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Den Kummer herauslassen, aber nie vor dem Kind
Ich wollte meinem Kind auf gar keinen Fall meinen Kummer umhängen. Vor allem mein Partner und meine engsten FreundInnen waren für mich da, sie haben mich liebevoll unterstützt und meine Tränen getrocknet.
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Neue Rituale erfinden
Mein Kind und ich haben ein wunderschönes Abschiedsritual erfunden! Nach der letzten Nacht im Hotel Mama haben wir einen gemeinsamen Tag lang blau gemacht. Zuerst haben wir richtig lang ausgeschlafen und dann waren wir zum ausgiebigen Frühstück in unserem Lieblingslokal. Weiter ging’s in den Park für einen Spaziergang im Novembernebel und anschließend sind wir gemütlich durch unser Grätzl flaniert. Wir waren am Markt, in der Boutique, die wie beide so sehr mögen und haben dann in der kleinen Buchhandlung geschmökert. Und dabei haben wir ein paar feine, neue Rituale erfunden, die wir in Zukunft pflegen wollen, wie 1 Mal im Monat ein gemeinsames Essen/Kochen oder gemeinsam einen Yoga-Kurs besuchen oder gemeinsame Reisen.
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Sich die neue Freiheit ausmalen
Die ersten Tage „allein“ waren dann gar nicht schlimm. Ich habe sehr rasch die neue Freiheit gespürt und diese auch zu schätzen gelernt. Wenn der Kühlschrank mal leer ist, ist es kein Drama. Das ewige „gute Beispiel“ kann auch mal ruhen. Weniger Pflichten sind eine durchaus positive Sache. Ich habe eine detailreiche Positivliste erstellt und viel Mühe und große Sorgfalt darauf verwendet, diese Liste zu füllen!
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Schmiede große und kleine Pläne
Im Großen und im Kleinen schafft die neue Freiheit ungeahnte Möglichkeiten. Neues denken und Neues zulassen, wie wäre es mit: Doch noch ein Studium beginnen? Die Partnerschaft neu denken? Ein Sabbatical machen? Einen geheimen Reisetraum erfüllen? Über die Anschaffung einer Empty Nest Replacement Cat nachdenken, wie sie das Magazin „New Yorker“ empfiehlt?
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Sei stolz auf dich und dein Kind
Zu guter Letzt: Wie schön und großartig ist es eigentlich, wenn dein Kind bereit ist, in die nächste Phase des Selbständigwerdens, des Erwachsenseins einzutreten?! Dieser Gedanke ist wahrhaftig unglaublich schön!
+++ UPDATE DEZEMBER 2021 +++
Im September diesen Jahres ist meine Tochter für ihr Studium nach Kopenhagen übersiedelt. Dauer: Mindestens 2 Jahre. Ist das nicht großartig?! Ja, klar.
Wie schon bei ihrem ersten Auszug, arbeite ich an mir, primär das Positive zu sehen und freue mich über ihren Mut und die Chance, die sie sich schuf. Und ich bin schon auch bisschen „proud mama“, weil sie einen der wenigen, begehrten Studienplätze bekommen hat. Noch dazu in dieser wundervollen Stadt Kopenhagen! Ein internationales Studium, Wissenschaft & Forschung auf top Niveau, mit den Lehrenden auf Augenhöhe, in einem gender-gerechten Setting, Offenheit, Transparenz, … Ein wahrgewordener Traum!! Aber es wäre gelogen, dass ich nicht auch mixed feelings hätte. Wird das Studium ihren Vorstellungen entsprechen, wird sie sich auf der Uni gut einleben, wird ihr das WG-Leben gefallen? Wie werden wir Kontakt halten über diese Distanz?
Nachdem wir alle weniger fliegen als früher und die Zugfahrt Wien-Kopenhagen an die 20 Stunden dauert, sehen wir uns definitv seltener. Das ist halt so.
Und spätestens jetzt ist an der Zeit ein Loblied auf die Digitalisierung zu singen! Wir halten uns am Laufen, dank iMessage, Facetime, Telegram und Co gar kein Problem. Und der nächste Urlaub in Wien an Weihnachten steht fast schon vor der Tür 🙂